Der Ausflug
Wir fahren über die vielen, kleinen zauberhaften Dörfchen der Provence, unter blauestem Himmel in gleißendem Sonnenschein. Der Fahrtwind vertreibt die ansonsten mörderische Hitze und wir genießen die Zeit zu zweit mit wehenden Haaren im Wind der Freiheit. Die kleinen Orte muten uns oft mittelalterlich an. Wäre die Sonne nicht, die alles in warme etwas verwaschene Erdtöne verwandelt, wäre die Stimmung mancher Dörfchen schon zu düster. Besonders die mit den wüsten Festungen oder Burgen.
In einem kleinen Straßencafé machen wir Pause und trinken einen Espresso unter dem schattigen Dach weißstämmiger Platanen. Es riecht nach trockenem Pflasterstein, Kaffee und Kräutern. Eine Handvoll Spatzen hüpfen aufgeregt um die Tische in der Erwartung auf ein paar heruntergefallene Brotkrümel. Toni hält meine Hand locker in der seinen. Ich liebe die Selbstverständlichkeit dieses leichten Kontakts und das Gefühl der Verbundenheit, die es in mir auslöst. Der Espresso ist unerwartet heiß, sodass ich mir fast die Zunge verbrenne.
Wir betrachten versunken die Menschen, die an uns vorüber gehen. Die meisten machen einen zufriedenen, unbeschwerten Eindruck. Irgendwie verwundert mich das nicht, als ob es in einer derartig geküssten Landschaft keine Beschwerden oder Leiden geben könnte. Ein Kirchturm verkündet von Ferne mit zwölf tönernen Schlägen die Mittagszeit. Vermutlich fallen daraufhin alle Südländer schlagartig in die Siesta. Wenn ich ehrlich bin, ereilen auch mich bereits erste Anflüge von Müdigkeit.
Toni möchte gerne noch ein wenig bleiben und trägt dem jungen, arabisch aussehenden Kellner auf, zwei Eiscafé zu bringen. Toni betrachtet mich von der Seite und meint, dass ich erschöpft aussehe. Er könne sich gut vorstellen, dass ich noch ein Weilchen die Ruhe an diesem beschaulichen Ort genießen wolle. Ja genau. Wie absolut richtig er liegt! Ich schmiege mich an seine Schulter und freue mich einfach, dass ein männliches Wesen in der Lage ist, meine Bedürfnisse zu erraten und ich einmal an nichts, aber auch wirklich gar nichts denken brauche. Nicht einmal, ob es Toni gut geht, er auf seine Kosten kommt. Nichts. Es gibt nichts zu tun. Ich darf einfach Ich sein und brauche nur dem Fluss der Dinge zu folgen.
Ich muss kurz eingenickt sein. Denn als der Kellner den Eiscafé vor uns abstellt öffne ich die Augen. Das Eis schmilzt bereits in den Gläsern. Das Licht der Sonne, das durch die Platanenblätter tänzelt, schimmert gelblich auf der sahnig zerfließenden Haube aus Eiscreme. Ob ich Hunger habe, erkundigt sich Toni. Nein, ich sei absolut zufrieden mit allem, erwidere ich und drücke ihm dankbar die Hand.
Ich hätte noch Käse und Baguette im Wagen, lasse ich ihn wissen und eine Flasche Wein müsste auch noch da sein. Jaja, er wisse schon, für das Picknick. Das habe er alles noch auf dem Schirm. Er würde gerne mit mir am Lac de Sainte Croix am Verdon picknicken. Das Wasser sei dort so unglaublich türkis, dass es richtig unecht aussehe. Er liebe es, dort zu sitzen und sich einzubilden, man sei auf dem Mars. Okay, das höre sich wunderbar an, bestärkte ich ihn in seiner Wahl. Lena und Toni auf dem Mars. Ich richte mich auf und blinzele träge in die Sonne. Ich muss nirgendwohin fahren, um mich mit Toni wie auf einem anderen Stern zu fühlen.
Später am Lac de Sainte Croix sitzen wir auf einem Holzsteg, der in den Stausee hinausführt. Das Türkismilchige des Wassers sieht noch künstlicher aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Wie eine Retro-Badfliese aus den sechziger Jahren, die man aus Versehen in diese Landschaft geklebt hat. Ein Fehler im Suchbild. Identifizieren Sie das Objekt, das nicht ins Bild gehört. Wir sitzen jedoch real davor und können mit dem Finger darauf zeigen, und unsere Füße im Türkis der Keramik baumeln lassen. Dann kräuselt sich die Oberfläche und die Kompaktheit der Fliese zerfällt. Tausende von Sonnenstrahlen brechen sich darin. Die Wasseroberfläche funkelt und blendet wie ein Brennglas.
Toni hat den Wein entkorkt und da ich keine Gläser eingepackt habe, trinken wir aus der Flasche. Allmählich habe ich das Gefühl, daueralkoholisiert zu sein, bei dem Alkoholpensum. Doch Toni scheint das nicht im mindesten zu stören. Gut, dass wir den Käse und das Brot haben, ein paar Kohlenhydrate können wirklich nicht schaden. Die Leckereien sind in wenigen Minuten vertilgt. Wir hatten also doch Hunger.
Ich strecke mich träge auf dem Steg aus und genieße die Hitze der Sonne auf meiner Haut. Toni sitzt neben mir und wirft Steinchen ins Wasser. Mit einem winzig saugenden Plopp versinken sie einer nach dem anderen in der Tiefe des Gewässers, langsam sich weitende Kreise hinterlassend. Dann fragt er mich, was mit mir und Alex sei.
Alex sei sehr charmant und attraktiv und ich würde mich prächtig mit ihm verstehen. „Ihr seid so verschieden. Wo du fordernd bist, ist er zurückhaltend. Du machst einfach, und er wartet ab. Und ich liebe beides.“ Ich sehe geradewegs in seine kristallklaren Augen. Ruhig fahre ich fort. Alex stilles Wesen habe es mir angetan. Ja, ich fände ihn äußerst anziehend. Das habe er sehen können, erwidert er gelassen und überhaupt nicht verärgert. Er habe nur zunächst nicht gewusst, ob er eifersüchtig gewesen sei oder froh darüber, dass Alex mich möge. Alex sei sein bester Freund. Und es sei mitunter erschreckend, wie ähnlich Alex und er sich in den meisten Dingen seien. Ganz besonders was ihren Frauengeschmack beträfe. Plopp, ein weiteres Steinchen durchbricht die Wasseroberfläche. Toni blickt den entstehenden Kreisen hinterher. Auf seiner Stirn sammeln sich winzige Schweißtröpfchen.
Für den Roman, der in dieser himmlischen Landschaft spielt, bin ich an die Orte des Geschehens gereist. Ich musste sie einfach hautnah erleben und das unvergleichliche Flair dieser göttlichen Landschaft kosten. Den Fußstapfen meiner Heldin Lena folgend, die auf diesem Boden so beschwingt wandelt, lebt und liebt. Damit all diese Wunderbarkeiten in das Buch und zu Euch fließen können. Hier schon ein paar Eindrücke und ein kleiner Vorgeschmack auf mein neues Oeuvre!
Nun ist die Ordnung dran. Trotz sommerlicher Temperaturen kämpfe ich mich schon seit Stunden durch ein Labyrinth aus umgekippten Zeitungsstapeln, liegengebliebener Post und dicken Schichten Blütenstaub. Mir scheint es, als würde ich einem wunderlichen Drehbuch folgen, das mir vorgibt wie man Chaos innerhalb kürzester Zeit einer erstaunlichen Metamorphose unterziehen und in wohltuende Ästhetik verwandeln kann.
Das vermehrte Staubaufkommen ist ein Teil des Preises, den man zahlen muss, wenn man in der Stadt wohnt. Ich zahle also, denn ich wohne in einer von Linden besäumten Allee ziemlich mittedrin in Köln.
Obwohl ich das etwas bedrückende Flair der funktionalen Nachkriegsarchitektur nicht mit Überzeugung als schön bezeichnen würde, liebe ich mein schnuckeliges Köln wie keine andere Stadt. Diese sonderbare Paarung zwischen medienrummelnder Metropole und Kölschem Dorf mit seinen abgenutzten Wohnzimmerkneipen an jeder Ecke ist echte Heimat für ein ganzes Sammelsurium unterschiedlichster Menschen: uns‘ Omma, den Transvestiten oder dat Hella von Sinnen. Hier kann jeder sein, wie er will und was er ist. Ganz nach dem Motto: Jeder Jeck es anders. Deshalb sind hier alle anders, und andersrum mitunter auch.
Köln ist aber auch Heimat für jede Menge alter jüdischer und römisch-germanischer Scherben und Knochen, die man in Köln immer findet, sobald man nur einen Spaten tief in den schwer historischen Boden sticht. Und vor allem ist es meine Heimat.
In diesem eigenwilligen Charme von Tradition und freiem Geist fühle ich mich pudelwohl. Isch liebe dat. Ganz besonders liebe ich den Rhein, mein persönliches Eau de Cologne. Die Majestät, die in der Breite dieses Flusses liegt. Dieser ruhige, zuverlässige Strom teilt die Stadt und verbindet sie zugleich, so als würde er sie flüssig verfugen und ihr durch diesen Prozess erst ihren eigentlichen Charakter verleihen. Er versorgt die Metropole wie eine riesige Arterie mit pulsierendem Leben, neuen Impulsen, einigem Wohlstand und lustigem Strandgut aller Art.
Wenn ich einen Platz brauche, wo ich meine Gedanken auf Reisen schicken kann, setze ich mich auf die Ufermauer an der Schäl Sick. So nennt der Kölner die andere, nämlich rechte Rheinseite. „Schäl“ ist gleich Entwicklungsland. Da muss jeholfen werden. Vielleicht wachen deshalb die wilhelminischen Reiter hinter mir so beharrlich und treu auf ihren Sockeln über Deutz, dass sie schon Grünspan angesetzt haben. Rechter Hand die schwarzstählerne Eisenbahnbrücke der Hohenzollern und geradeaus das himmelhohe Kölner-Dom-Wunder. Symbole weltlicher Geschäftigkeit und göttlicher Erhabenheit, die hier an diesem Fleckchen Erde eine beruhigende Symbiose eingegangen sind. Dieser Anblick löst in mir jedes Mal ein Gefühl tiefer Verbundenheit aus und bestärkt mich in der Meinung, die schönste Stadt der Welt zu besitzen.
Selbst wenn das mit einschließt, dass in Köln mitunter alles außer Rand und Band gerät, sobald die Kölner irgendeinen Vorwand zum Feiern identifizieren können. Sei es in der Tradition des Karnevals, oder auf der fortwährenden Suche nach neuen Gelegenheiten, den unerschöpflichen Kölschvorrat der vielen stadteigenen Brauereien in trinkwillige Frohnaturen abzufüllen. So vor ein paar Jahren geschehen mit der Eingemeindung des Oktoberfestes in den offiziellen Jahreszyklus der Kölschen Festivitäten. Das ist dann wie Karneval, nur im Bayernkostüm.
Den einzigen Punktabzug erhält Köln für das stadtspezielle Endlosübergangswetter, das so einige Opfer fordert. Schuhopfer zum Beispiel. Zumindest von den Damen. Denn die Nässe überzieht das buckelige Kopfsteinpflaster Kölns sofort mit einer schwarzglänzenden Glätte, das Aus für jeden hohen Absatz. Der Köbes, der hier in Köln das Bier ausschenkt, hat dazu ganz klar seine eigene Meinung: „Wen jöcke de Schoh, wenn se ungerm Bierdesch stonn?“ Nun ja, so viel steht fest, den Köbes schon mal nicht.
Ich lebe in mit meinem Mann Frank in der obersten Wohnung eines alten Stadthauses. Sie ist hell und geräumig, mit einer luftigen Terrasse, und einem Blick über das dunkelweite Dächermeer der Stadt. Leider hat das Haus keinen Aufzug, und so musste ich aus der Not eine Tugend machen und das tägliche Treppensteigen zur Fitnessübung erklären. Das rede ich mir jedenfalls immer tapfer ein, wenn ich mit tausend Einkaufstüten beladen keuchend die Treppenabsätze erklimme, und just in diesem Moment die Treppenhausbeleuchtungsautomatik abläuft und mich in ewige Dunkelheit verbannt.
Ich liebe das Helle. Daher freue ich mich über die vielen großen Fenster dieser Wohnung, die in alle Himmelsrichtungen gehen. Die schönsten Momente sind, wenn das einfallende Licht die Altbauräume durchflutet und die Staubkörnchen tanzen lässt, und alles in eine völlig andere, fast sakrale Welt verwandelt.
Heute ist mein Geburtstag. Mein Vierzigster! Doch ich fühle mich kein Stückchen wie Vierzig. Ehrlich gesagt, habe ich mir über das Alter noch nie viele Gedanken gemacht. Diese hohen Zahlen aber auch. So langsam nehmen sie ein bisschen Überhand. Und während mich meine Lieblingsmusik begleitet, wirbele ich, gemeinsam mit dem Staublappen, singend und tanzend durch die Bude. Es geht dem Lindenblütenstaub an den Kragen, der sich wie ein silbrig grüner Schleier über alle Flächen gebreitet hat. Es ist Lindenblütenzeit.
Doch inmitten all der Geschäftigkeit schiebt sich die Zahl Vierzig beunruhigend in meine Gedanken. Verdutzt halte ich inne, und lasse mich auf den Wohnzimmerteppich plumpsen. Der weiche Flausch fühlt sich wohlig an, ich würde gerne darin versinken. Seufz. Ausgerechnet jetzt tauchen diese lästigen Störenfriede auf, wo ich sie am allerwenigsten gebrauchen kann. Meine Gäste kommen doch gleich! Nur lassen sich die Quälgeister nicht so ohne weiteres bei Seite schieben. Wie zu schwer gewordene Seifenblasen platzen sie einfach ungewollt in meinem Kopf.